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No Sports
No Sports?
"No Sports". Das soll angeblich Winston Churchills Antwort auf die Frage eines Reporters gewesen sein, wie er ein so hohes Alter erreicht hat, trotz immensen Zigarrenkonsums, begleitet von nicht minder viel Whisky.
So wenig wie es Belege dafür gibt, dass das Winston Churchill tatsächlich gesagt hat, so sehr stellt uns dieses viel zitierte Bonmot doch in unserer heutigen Leistungsgesellschaft die Frage, ob es, um ein gesundes und erfülltes Leben zu führen, tatsächlich notwendig ist, Sport zu treiben.
Ich konnte Sport – Bewegung rein der Bewegung Willen – noch nie etwas abgewinnen, konnte noch nie einen wirklichen Sinn daraus für mich ableiten. Nimmt man nur so ein absurdes Instrument wie ein Laufband in einem Fitnessstudio. Wann hat der erste Mensch sich wohl gesagt, ich will unbedingt laufen, aber nur ja nicht irgendwohin. Mir geht das nicht ein.
Gleichwohl ist es keine Frage, dass der Mensch archaisch nicht als Couch-Potato auf diese Welt gekommen ist. Ein Leben in Slowmotion hat der Schöpfer eindeutig den Faultieren zugedacht, so sehr manche Zeitgenossen unserer Spezies – zu denen ich eindeutig zähle – sie darum auch beneiden mögen. Der Mensch braucht Bewegung – so weit, so klar. Vor rund 100 Jahren hat der Mensch im Durchschnitt noch etwa 20 Kilometer täglich zu Fuß zurückgelegt. Heute geht der Durchschnittsdeutsche gerade mal noch 500 Meter täglich, der Amerikaner sogar nur noch 200. Das hat alleine in Deutschland dazu geführt, dass zwei Drittel der Männer und die Hälfte aller Frauen in Deutschland heute übergewichtig sind. Ein paar kleidsame Rundungen sind sicher nicht bedenklich oder gar lebensverkürzend. Wenn man allerdings morgens aufsteht und dabei seismische Erschütterungen auslöst, wird es ungesund. Aber deshalb Sport treiben? Vielleicht einfach weniger und gesünder essen.
Schon in der Grundschule habe ich mich vor meinen Eltern nicht wirklich erfolgreich rechtfertigen können, warum ich es fertiggebracht habe, im Fach "Sport" eine glatte 6 zu bekommen. Mir widerstrebte es nur damals schon zutiefst, in dieser nach ausgedünstetem alten Gummi riechenden, in aschfahles Licht getauchten Halle über irgendwelche Holzbrücke zu springen, monoton im Kreis zu laufen und auf Kommando des Sportlehrers in die Knie zu gehen, nur um auf das unmittelbar folgende und im Ton eines Drill Instructors geschriene Kommando wieder aufzuspringen. Das einzig gute Gefühl, das mir der Schulsport vermittelte, war sein erlösendes durch die Schulglocke eingeläutetes Ende. Und wie viele Sportarten habe ich in meinem langen Leben nicht schon alle angefangen, nur um sie bald darauf wieder zu quittieren und immer wieder aufs Neue festzustellen, dass die Hoffnung darauf, endlich dann die gefunden zu haben, die mir Spaß an der entsprechenden Bewegung bereitet, doch unbegründet war. Hätte ich den ganzen Krempel noch, den ich mir voller Zuversicht dazu angeschafft habe, ich könnte ein Second Hand-Geschäft für Sportartikel eröffnen. Mir begegnet diese ganze Schinderei – gleich in welcher Ausprägung – immer einigermaßen denaturiert und so sehr ich mich auch ehrlich bemühe, irgendeine Motivation daran zu empfinden, ich scheiterte stets kläglich.
Doch seit wir durch die Segnungen unserer modernen Zivilisation der Notwendigkeit körperlicher Betätigung weitgehend enthoben sind, ist Sport angesagt wie nie zuvor. Die in Öl verewigte und damals als Schönheitsideal geltende Dame Rubens ist abgelöst worden vom gestählten Athleten-Körper, trotz Schreibtisch, Aufzug und SUV, der uns überall hin rollt. Und wer unter dem knapp geschnittenen Business-Hemd kein Sixpack erkennen lässt, ist raus – zeigt, dass er es an der nötigen Selbstdisziplin unübersehbar vermissen und sich gehen lässt. Unser Körperkult des 21. Jahrhunderts übersteigert sich zu Ersatzreligion. Unser Körper wird zur sinnstiftenden Instanz. Erlösung erhoffen darf, wer sich regelmäßig der Geißel des Sports unterwirft.
Kinder haben scheinbar alle einen unstillbaren Bewegungsdrang. Ich habe noch kein Kind gesehen, das sich gesagt hat: "Oh, ich müsste unbedingt mal wieder auf ein Klettergerüst steigen." Kinder tun das einfach, wenn ihnen danach ist und eben nicht, wenn Ihnen gerade nicht der Sinn danach steht.
Keine Frage, es gibt viele erwachsene Menschen, die gerne Sport treiben, denen regelrecht etwas im Leben fehlen würde, könnten sie sich nicht sportlich verausgaben. Ich freue mich aufrichtig für sie und habe mich sogar schon gefragt, ob ich etwas im Leben verpasse, nur weil ich keinen Zugang finde zur Bewegung ganz ohne weitergehenden Zweck, außer eben den, sich an sich zu bewegen. Aber wie auch immer, ich gehöre einfach nicht zu den sportlichen. Mein einziger Trost an dieser Stelle ist die Erkenntnis, dass ich nicht alleine bin.
Ich gehöre zu den Menschen, die sich gar nicht erst die Frage stellen, ob man diese Woche schon lange und konsequent genug Sport getrieben hat, obwohl man doch wollen sollte. Das Wehklagen darüber, dass man schon wieder nicht und aber doch eigentlich wollte, kommt gar nicht erst vor. Wir Unsportlichen kennen also gar nicht dieses schlechte Gewissen, das einen beschleicht, wenn man wohl mal wieder nicht oft, lange und erschöpfend genug seinen Körper durch die Gegend oder über allerlei Foltergerät für Muskeln, Sehnen und Gelenke gescheucht hat. Erst wenn der Schmerz der sportlichen Selbstkasteiung in Gestalt eines ausgewachsenen Muskelkaters zu spüren ist, stellt sich die Erlösung ein – uns Sportatheisten völlig fremd.
Die Frage, die mich persönlich beschäftigt, ist, wie es kommt, dass etwas, das dem Wohlergehen so zuträglich sein soll wie der Sport, gleichzeitig eine solche Qual ist? Wie gut kann etwas sein, zu dem man sich so sehr zwingen muss? Mittlerweile habe ich meinen Frieden gefunden. Sport ist einfach nichts für mich. Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht gern bewege. Ich gehe zum Beispiel unheimlich gerne irgendwo hin – schnell, zumindest zügig und durchaus auch eine längere Strecke. Wie oft schon ist es mir bei der Frage nach dem Weg an einer Hotelrezeption passiert, dass man mir sagte, dass der Weg viel zu weit sei und man mir gerne sogleich ein Taxi rufen würde. Auf die Erwiderung, dass ich trotzdem lieber zu Fuß gehen werde, habe ich schon oft unverständliches Kopfschütteln geerntet. Ich stelle mir dann immer den taxifahrenden Hotelgast vor, der extra eine Stunde früher aufgestanden ist, nur um im hoteleigenen fensterlosen Fitnessraum seine mitgebrachten signalfarbenen Polyesterklamotten vollzuschwitzen.
Der Sportwissenschaftler und Hochschulprofessor Prof. Dr. Hans A. Bloss schreibt in seinem Buch "Fit ohne Sport – Ihr Alltag ist Training genug", dass sich eine gute Gesundheit auch ohne Sport erreichen lässt. Er hat herausgefunden, dass sich nur jeder fünfte Deutsche wirklich freiwillig sportlich betätigt. Für die übergroße Mehrheit bedeutet die nach bestimmten Regeln ausgeübte körperliche Betätigung nichts als zusätzlichen Stress und Leistungsdruck in ihrem Alltag. Und das sei insgesamt alles andere als gesundheitsfördernd. Nach Bloss ergibt sich Fitness aus drei Faktoren: Bewegung, Ernährung und Entspannung. Wer sich ständig zusätzlich mit dem Zwang stresst, Sport treiben zu müssen, eliminiert schon mal den Faktor Entspannung.
Ein erholsames Mittagsschläfchen wäre hier wohl viel dienlicher, als mit hochrotem Kopf, beinahe schmerzverzerrtem Gesicht und einer Aorta wie ein Feuerwehrschlauch, schnaufend und keuchend durch den Park zu rennen.
Bloss rät Sportmuffeln auf diesen ganz zu verzichten und stattdessen ihre Alltagsbewegungen als Training zu begreifen. Seine Empfehlungen sind alle nicht neu, wie z. B. Treppe statt Aufzug, mal eine Haltestelle früher aussteigen und den Rest laufen oder Waschbox statt Waschstraße. Wenn man seine Alltagsbewegungen bewusst als Training begreift, gibt das einen deutlichen Motivationsschub und es lässt sich sogar eine Verbesserung der Blutdruck- und Cholesterinwerte feststellen, so Bloss. Die neue mentale Haltung zu diesem "Training" löse bereits muskuläre Prozesse aus, die tatsächliche Bewegung tut das übrige. Bloss weiß, dass bewusste Bewegung im Alltag genau das richtige Fitnessprogramm für all jene ist, die Sport einfach nicht genießen können.
Und wer kennt das nicht, da reißt der Tod den asketisch lebenden drahtigen Alltagsathleten, der sich zeitlebens von Gemüse und Salat ernährt, seinen Flüssigkeitsbedarf fast nur mit Wasser und Tee gedeckt hat und nie nach 22:00 Uhr zu Bett ging, viel zu früh aus dem Leben, während der deutlich in Übergrößen gewandet durchs Leben gehende, scheinbar allen Versuchungen unserer Wohlstandsgesellschaft genussvoll frönende mit einem Lächeln wie Buddha im Gesicht in hohem Alter im Restaurant sein Dessert bestellt und sich Wein nachschenken lässt. Unweigerlich beschleicht einen die Frage, wie kann das sein? Die Antwort ist jedem Jogger, der verbissen auf seine Pulsuhr starrt und sich zwingt, sein Strecken- und Zeitpensum unbedingt einzuhalten, ins Gesicht geschrieben: Stress! Und durch den Zwang zum sportlichen Ergebnis noch mehr Stress.
Die Weltgesundheitsorganisation hat Stress als die größte gesundheitliche Gefahr des 21. Jahrhundert ausgemacht. Die Innovationskraft und Produktivität der Menschheit ist im Vergleich zum letzten Jahrhundert um ein Zigfaches gestiegen und damit auch der Leistungsdruck auf jeden Einzelnen. Immer weniger hören wir auf unseren Körper – in uns selbst hinein. "Dazu habe ich keine Zeit, das schaffe ich nicht, das bekomme ich nicht in meinem Alltag unter", sagen wir heute viel zu oft. Die Gesetze des Lebens lassen sich allerdings nicht überlisten oder gar ausblenden – nur eine Weile ignorieren, bis es zu spät ist. Wenn wir also fortwährend viel zu viele Dinge tun, die uns gar nicht entsprechen, dann werden wir krank.
Einstein hat 12 Stunden geschlafen. Dazu fühlen sich die meisten der Leistungsträger unserer Gesellschaft heute gar nicht mehr in der Lage, sie könnten dieses Zeitfenster überhaupt nicht mehr in ihrem dicht gedrängten Terminkalender unterbringen.
Wir müssen die Selbstgeißelung aufgeben! Sie macht aus potentiell ausgeglichenen lebensbejahenden Menschen freudlose und permanent angespannte Miesepeter und die sind nicht nur ihre eigene Gesundheitsgefahr, sondern letztlich auch eine Umweltgefahr.
Buddha sagt: "Gesundheit ist nur die langsamste Form zu sterben." Es kommt also darauf an, was wir mit der uns verbleibenden Zeit anstellen. Wenig weise wäre, sich mit Sport zu quälen, denn die Zeit, die wir durch ihn gewinnen, vergeuden wir doch gleichzeitig genau durch ihn.