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Verwaltungsgebäude eines ehemaligen DDR-Industriebetriebs
Hopfen und Malz - Gott erhalt’s. Dass diesem vielzitierten Spruch in Sachen Bier ausgerechnet und auf ganz atheistische Weise ein früherer DDR-Vorzeigebetrieb zur praktischen Erfüllung verhalf, ist auch so ein Treppenwitz der Geschichte. Kaum einer der bierseligen Bajuwaren hat damals geahnt, dass sein freistaatliches Nationalgetränk in Braukesseln zur Reife gebracht wurde. So war’s aber. Germania goes Bavaria. Der DDR-Betreib mit dem gerade dafür eigentümlichen Namen "Germania", der seit den baulichen Umsetzungsplänen von Hitlers Größenwahn durch seinen Architekten Albert Speer nicht mehr so ganz unbelastet war (Berlin sollte einst die "Welthauptstadt Germania" werden), hat viele Münchner Traditionsbrauereien mit Braukesseln und anderem technischen Gerät zur Gewinnung des begehrten Gerstensaftes versorgt. So ist vieles aus der DDR exportiert worden, was im Westen anerkannt und begehrt war und das trotz der widrigen Umstände, die in der Produktion allenthalben herrschten. Die westdeutsche Bevölkerung hatte hingegen nur das Bild vom Rückstand und der Mangelwirtschaft – symbolisiert unter anderem vom knattern den Trabbi, der mehr Lärm und Abgase produzierte als Geschwindigkeit.
So hielt das Unternehmen dem plötzlich herrschenden Druck der Marktwirtschaft stand und existiert in Teilen bis heute – inzwischen übrigens auch unter anderem Namen.
Wir hingegen sind auf der Suche nach den Spuren der Vergangenheit – möglichst unberührt und aus ihrer Zeit belassen. Und wir sollten heute fündig werden und das ein weiteres Mal in unserer Heimatstadt Chemnitz. So machen wir uns praktischerweise per Velo auf zu dem einstigen riesigen Betriebsgelände am Rande der Stadt. Die sonntägliche Ruhe kommt uns zupass. In den hier noch teilweise angesiedelten Betrieben wird nicht gearbeitet – das gesamte Areal in menschenverlasse Stille getaucht. Neben den noch genutzten Gebäudeteilen fällt das riesige Verwaltungsgebäude auf, dessen Fassade bis heute in riesigen eisernen Lettern den alten Firmennamen trägt. Wir gehen an der mehrere hundert Meter messenden Gebäudefassade entlang und halten nach einem Eingang Ausschau. Plötzlich entdecken wir eine automatische Glas-Schiebetür, die einladend offensteht. Wir treten näher, machen ein paar Schritte ins Innere und prüfen mit einem lauten "Hallo", ob wir alleine sind. Sind wir nicht, was uns ein prompt erwidertes "Ja" bestätigt. Ein Herr mittleren Alters stellt uns die erwartete Frage, was wir hier wollen, worauf ich mein geübtes Sprüchlein aufsage, dass ich auf Architektur spezialisierter Fotograf bin usw., worauf uns der weniger freundliche als uns vielmehr einigermaßene Gleichgültigkeit entgegenbringende Herr im typischen Hausmeister-Outfit gewähren lies. Da man uns in einer solchen Situation niemals zweimal bitten muss, machen wir uns sofort auf, das Gebäude nach schönen Fotomotiven zu erkunden. Es dauert nicht lange, da stehen wir auch schon in einem riesigen Saal, dessen Ausdehnungen problemlos für ein Hallenfußballturnier einschließlich Zuschauer reichen würde. Wir sind beeindruckt und machen uns sofort daran, die Szenerie fotografisch zu erfassen. In den oberen Etagen scheinbar endlos lange, sich im Horizont verlierende Flure und Gänge. Im Untergeschoss stoßen wir dann noch auf eine Kegelbahn, die offensichtlich noch eine Weile länger als der Rest des Gebäudes genutzt wurde, ausweislich der Werbetafeln, die hier überall hängen.
Der riesige Saal mit seiner angeschlossenen ebenso riesigen Küche, die Kegelbahn, die Flure mit den unzähligen Zimmern – alles darauf ausgelegt, vielen Menschen einen Arbeitsplatz und damit eine Möglichkeit zu geben, ihren Lebensunterhalt und vielleicht noch etwas mehr zu verdienen für ein paar kleine Extras im Leben. Die Jobs, die heute aus diesem Betrieb noch übrig sind, stellen sicher nur noch einen Bruchteil der einstigen Belegschaftsstärke dar. Wenn wir die Anzahl der Arbeitsplätze zusammenzählen, die sich aus den bisher fotografierten Industriegebäuden schätzungsweise ergibt, kommen wir mindestens auf die Zahl an Menschen im beschäftigungsfähigen Alter in einer deutschen Großstadt.
Zeichen einer Entwicklung, die in den letzten Jahren eher noch an Dynamik zugenommen hat. Nicht nur die immer noch weiter zunehmende Automatisierung in den Industriebetrieben macht menschliche Arbeitskraft immer noch mehr obsolet, auch andere Berufszweige sind ausgestorben und werden bald aussterben. Nimmt man nur zum Beispiel den Zahntechniker. Vorbei die Zeit, als der Zahnarzt ein Zahnlabor mit der Anfertigung von Ersatz für die maroden Kauleisten seiner Patienten beauftragt hat. Heute schickt er die im Behandlungsraum erfassten Daten an seinen 3-D-Drucker im Nachbarraum und fertig. Und wer bringt heute noch seine Schuhe zum Schuster? Die allerwenigsten. Heute gilt billig kaufen, wegwerfen, billig neu kaufen .... . Vor einiger Zeit selbst mit erstaunen erlebt: In Nürnberg kann man in der U-Bahn ganz vorne sitzen und in Fahrtrichtung auf die Gleise schauen, wie der Fahrer, weil es denselben seit längerem schon nicht mehr gibt. Alles vom Computer gesteuert. Das selbstfahrende Auto steht kurz vor der Serienreife – das sichere Ende aller Taxifahrer. Und so könnte man die Aufzählung beliebig fortsetzen.
Dieser Prozess lässt sich nicht mehr umkehren. Man muss ihn anerkennen und die damit einhergehenden Probleme erkennen. Wir müssen anerkennen, dass es immer unmöglicher wird, jedem Menschen einen Job zu geben – geschweige denn einen, von dem er leben kann. Wir müssen erkennen, dass wir eine neue Gesellschaftsordnung brauchen, die es nicht mehr notwendig macht, dass jeder einer Arbeit nachgehet, nur um seine Familie zu ernähren. Das erfordert ein radikales Umdenken – das wird eine der größten Herausforderungen der Zukunft. Wir müssen sie aber annehmen und Lösungen entwickeln, wenn wir weiter friedlich zusammen leben und leben lassen wollen.
Für uns bedeutet das, dass uns die Fotomotive wohl auf Sicht nicht ausgehen werden. Ein besonders imposantes Beispiel dafür war dieses fotogene Bauwerk.