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Verlassenes Heim für Jugendliche
"Das ist kein Umgang für Dich", sprach's der Vater und wachte mit Argusaugen darüber, dass der wohlgeborene Filius aus gutem Hause nicht verdorben wird von der missratenen Lendenfrucht der geächteten.
Heimkinder bleiben so unter sich, heranwachsend mit erfrorenen Herzen durch eine Umgebung voller gleichgültiger Gefühlskälte. Sie spüren, dass sie nicht gewollt waren und sind - leben dahin wie ein ins Tierheim abgeschobenes, lästig gewordenes Haustier. So kommt es eben nicht nur darauf an, wo man auf die Welt kommt, sondern auch durch wen.
Die ersten 5 bis 6 Lebensjahre prägen uns, wie keine weiteren danach. In dieser Entwicklungsphase saugen wir alle Umfeldeindrücke auf, wie ein trockener Schwamm. In dieser Zeit entstehen die grundlegenden Verschalungen in unserem Gehirn. Es entsteht unsere ganz eigene Beurteilungsmatrix von gut und böse, richtig und falsch, Anstand und Tabus. Die basalen Grundlagen unserer Persönlichkeit entstehen. Es bildet sich heraus, was später andere mit den Worten beschrieben: "So is' er/sie eben". Wir sind Produkt unseres Umfelds und ist dies fern von Vertrauen, Zuneigung und Liebe, nur erfüllt von Aggression, Gewalt und Hass, dann werden dies auch unsere Lebensprinzipien.
Wie viele Talente blieben schon und bleiben wohl zukünftig unentdeckt und verkümmern in den vernarbten Seelen der Menschen, die sich nicht auf dem stützenden und schützenden Fundament einer intakten Familie entwickeln und entfalten konnten. Wie viele untalentierte Nassauer werden dem gegenüber durch eine Überdosis "Vitamin B" der Eltern in gut dotierte berufliche Positionen gehievt, in denen sie bestenfalls Mittelmaß sind, gleichwohl aber viel Geld verdienen, obwohl man sie zeitlebens "zum Jagen tragen muss". Wie überall auf der Welt, so auch hier geht es alles andere als immer gerecht und fair zu. Gevatter Zufall wirft über unser Schicksal die Würfel auf den Spieltisch des Lebens, an dem wir selbst nicht Mitspieler, sondern nur der Einsatz sind.
Wir besuchen heute eine ehemalige Heimstätte derer, denen nicht die Gnade der Geburt in wohlbehütete Verhältnisse zuteil wurde. Hier hat man jahrzehntelang junge heranwachsende Menschen gerade mal mit dem notwendigsten versorgt, dass sie physisch aber allermeist nicht psychisch erwachsen werden konnten. In großer Abgeschiedenheit liegt das ehemalige Heim auf einer Anhöhe in der beschaulichen Landschaft der Lausitz. Der martialisch wirkende Bau thront einsam auf einem Hügel – sonst weit und breit kein Haus – keine Gelegenheit, außerhalb des Heims Kontakt mit anderen aufzunehmen, die hier nicht kaserniert sind.
Beim Streifen durch das verlassene und damit noch unwirtlicher wirkenden Innere des riesigen Komplexes fällt auf, dass der Bau nach seiner Funktion als Heim in den Zeiten der Naziherrschaft und der sich anschließenden der Sozialisten auch sehr geeignet war, hier die Lehre der überlegenen Herrenrasse der Arier und später der klassenlosen Gesellschaft der Sozialisten zu indoktrinieren – überwiegend erfolgreich wohl auch vor allem bei jungen Menschen, die in einer gemeinsamen Überzeugung Vieler Orientierung, Halt und Geborgenheit und damit auch Anerkennung und Zuneigung zu erfahren suchten. Da wurden der Lehre Inhalte nicht hinterfragt – es ging um die Wirkung, um das gute Gefühl, das man so ersehnt, endlich dazuzugehören, anerkannt zu werden, wer zu sein. Der riesige Saal mit seiner ausladenden Bühne gibt eine Vorstellung von der massenpsychologischen Wirkung, die hier nicht verfehlt wurde. Die Gemeinschaft der Gleichgesinnten ist alles – der einzelne hingegen nichts.
Beeindruckt von den Vorstellungen, wie es hier einst zuging – zunächst, als der Komplex noch Jugend-Heim war und später als "Formpresse" für ideologiekonforme Persönlichkeiten – machen wir unsere Fotos und versuchen, die alles andere als historisch unbelastete Atmosphäre dieses Ortes so einzufangen. Nach einem entsprechend langen Aufenthalt und etwas mehr Bildern als sonst im Kasten, treten wir wieder den Rückweg an in dem uns in diesem Moment besonders präsenten wohligen Gefühl, ein erfülltes und glückliches selbstbestimmtes Leben führen zu können, ohne gleichsam an all diejenigen jungen Menschen zu denken, die heute noch in Kinder- und Jugendheimen leben und aufwachsen müssen, ohne je gefragt worden zu sein, ob sie das wollen und wie es ihnen dabei geht.
Mögen alle jungen Menschen, die das Schicksal des Heimkindes ertragen müssen, stark genug sein, sich zu behaupten, nicht daran zu brechen, letztlich sich selbst überlassen zu sein. Soll ihre junge Seele nicht verrohen und ihr Herz fähig bleiben, zu anderen Menschen vertrauen zu fassen, Zuneigung und Liebe zu geben um gleiches zu empfangen.
Ende